Im September 2018 fuhren wir zum ersten Mal in Begleitung des Bischofs der Diözese Yagoua nach Ngouma. Der Bau unseres neuen Schulhauses in diesem abgelegenen Buschdörfchen hatte unter seiner Koordination im Juli 2018 begonnen. Aufgrund der Regenzeit stand er damals vorübergehend still, da kein Material transportiert werden konnte. Weil die gesamte Region um Mindif komplett unter Wasser stand, mussten wir für unsere Anfahrt die Route via Kolara wählen. Ab Lara fuhren wir 45 Minuten auf einer Naturpiste und über eine beinahe eingestürzte Brücke. Von dort aus ging es querfeldein Richtung Nordwesten in den Busch. Eine Piste war kaum noch zu sehen. Wir durchquerten mehrere kleinere Flüsse und stiegen etliche Male aus, um einen geeigneten Weg für unser Allradfahrzeug zu finden. Unser Weg wurde je länger je schmaler, bis wir im Nirgendwo endeten und es absolut keinen ersichtlichen Weg mehr gab.
Wir erkundigten uns bei Bewohnern in verstreuten Hütten, wo und wie wir am besten nach Ngouma weiterfahren konnten. Schlussendlich gab es nur noch die Möglichkeit, zu Fuss ans Ziel zu kommen. «Es ist nicht mehr weit», riefen unsere Begleitpersonen, die im Dickicht vorausgegangen waren. Sie waren nur wenige Meter entfernt und bereits nicht mehr sichtbar. Wir wateten durch Meter hohes Gebüsch, wo es keinen Fusspfad mehr gab. Schlangen konnten uns jederzeit in die Quere kommen und überall wuchsen stechende Akazien. Zudem brannte die Sonne gnadenlos vom Himmel. Die Idee, zu Fuss zu gehen, war nicht optimal und nicht geplant. Trotzdem wollten wir die Kinder und unser Schulhaus in Ngouma unbedingt sehen.
Nach 625 Metern erreichten wir ein offenes kleines Feld mit einem Gehöft. Eine Hand voll Frauen und Kinder begrüssten uns erstaunt und hiessen uns willkommen. Sofort brachten sie Holzhocker und boten uns einen Rastplatz im Schatten eines mächtigen Baumes an. Die Frauen waren oben ohne und die Kinder teilweise unbekleidet.
Wie sollten wir jemals den Weg nach Ngouma finden? Ein zufällig vorbeikommender Mofafahrer bot sich an, uns hinzufahren. Mit ihm ging es nochmals 6 Kilometer und 20 Minuten querfeldein weiter. Einen Weg, den wir zu Fuss nie hätten bewältigen können. Er war nass und verschlammt!
In Ngouma wurden wir sehnsüchtig erwartet. Der Ort besteht aus rund 4500 Bewohnern, welche verstreut in kleinen Gehöften in der weiten Einsamkeit des Busches leben. Sie betreiben Ackerbau und gehören zum Stamm der Tupuri. Untereinander sprechen sie ihren Dialekt Tupuri und Fulfulde. Vor unserem Besuch ist noch nie eine weisse Person zu ihnen gekommen. Der Ort ist so weitläufig, dass insgesamt 3 Schulen an verschiedenen Orten geführt werden. Einkäufe erledigen die Bewohner in Mindif. Wenn die Piste unter Wasser steht, sind sie mehr oder weniger von der Aussenwelt abgeschnitten.
Vor dem Schulhaus, mitten in der Abgeschiedenheit, hatten sich unzählige Dorfbewohner versammelt. Wir staunten, wie unsere Baumeisterin es geschafft hatte, in dieser Gegend ein Gebäude zu errichten. Die Einheimischen zeigten uns ihre ehemalige Buschhüttenschule und das neue Schulhaus. Das Gemäuer und das Dach waren fertiggestellt. Wegen der Regenzeit waren die Kinder schon provisorisch in das neue Schulhaus eingezogen. Drei Lehrer unterrichteten damals 334 Kinder.
Die Schule von Ngouma existiert unter der Führung der Eltern seit 1993. Im Jahr 2005 wurde sie offiziell vom Staat anerkannt. Ein Bewohner hatte den Bischof im April 2018 im Anschluss an eine heilige Messe vor Ort gebeten, ihnen beim Bau einer Schule zu helfen. Dieser war sichtlich stolz, dass sein Hilferuf tatsächlich angekommen war. Der Bischof erzählte dem Volk, wie er sich seinerzeit in ihrer Buschhüttenschule hatte fotografieren lassen und die Bilder im Anschluss an uns geschickt hatte. Wir hatten ihn noch am gleichen Tag gebeten, eine Offerte für den Neubau in dieser Region einzuholen. Unsere Kommunikation hatte bestens funktioniert. Weiter erzählte er den Bewohnern, woher die finanzielle Unterstützung kommt. Er dankte, dass wir ihm Vertrauen geschenkt hatten und trotz aller Warnungen des Schweizer EDA in diese rote Zone gereist waren. Die Anwesenden klatschten und applaudierten. Wenn wir uns überlegten, wie man uns hier im Nirgendwo suchen und finden würde, war dies fast unmöglich. Doch erfahrungsgemäss funktioniert das Buschtelefon sehr gut. Vorsicht war nach wie vor angebracht.
Die Dorfbewohner bedankten sich von Herzen für unser Kommen und für die grossartige Hilfe. Sie bekundeten vor allem auch dem Pfarrer ihren Dank, der den Bischof einst zu ihnen zu einer Messe gebracht hatte. Der noch sehr junge Dorfchef fügte der Rede in Fulfulde hinzu, er selber habe nie die Möglichkeit gehabt, zur Schule zu gehen. Er lobte uns von ganzem Herzen dafür, was wir für ihre Kinder getan hatten. Zudem entschuldigte er sich, dass sie nichts zu Essen für uns vorbereiten konnten. Er drückte dem Bischof zwei Hähne sowie ein Kuvert in die Hände, in dem wir später stolze 20 000 CFA (33 CHF) vorfanden! Damit drückten sie ihre Dankbarkeit und Freude uns gegenüber aus.
Als die Regenzeit zu Ende war, konnte der Schulhausbau fertiggestellt werden. Der Schlüsselübergabe an die Bevölkerung im April 2019 stand nichts mehr im Weg.
Im Oktober 2019 fuhren wir zum zweiten Mal im Begleitung des Bischofs nach Ngouma, um die Schule offiziell der Bevölkerung zu übergeben. Obwohl wir – um die Regenzeit zu vermeiden – einen Monat später als im Vorjahr angereist waren, regnete es nach wie vor sehr stark. Immerhin konnten wir glücklicherweise bei diesem Besuch den kürzeren Weg via Mindif wählen. Aufgrund des starken Regens war der Streckenabschnitt von Lara bis Mindif eine einzige Schlammpiste. Wir kamen nur schleppend vorwärts. Unser Fahrzeug drohte jeden Augenblick steckenzubleiben. Über 27 Kilometer sanken wir ständig ein, rutschten von links nach rechts und beteten um Besserung der Piste. Der Allrad gab sein bestes, heulte mehrmals lautstark auf und wurde von allen Seiten bis auf Höhe der Scheiben mit einer dicken, braunen Erdschicht bedeckt. Unser Chauffeur brachte uns zielsicher nach Mindif. Glücklicherweise regnete es dort nicht mehr.
Ab Mindif fuhren wir während einer Stunde geschätzte 17 Kilometer mit dem Mofa durch den Busch. Vorbei an stechenden Akazien, die erneut unsere Beine malträtierten, an nackt badenden Kindern im Fluss, an Mädchen mit Schafherden, freilaufenden Kuhherden und durch schlammige Wasserlöcher, in denen wir so gut es ging, versuchten, die Beine hochzuziehen.
Mittlerweile bereits 363 Kinder und vier Lehrer (zwei vom Staat und zwei PTA – Parents Teacher Assistent, sogenannte Elternlehrer) erwarteten uns in Ngouma. Sie hatten sich in Reih und Glied aufgestellt und begrüssten uns mit dem Gesang der Landeshymne. Anschliessend begingen wir gemeinsam das fertige Schulhaus und knipsten Fotos. Die Bewohner bedankten sich von ganzem Herzen mit traditionellem Tanz unter der brennenden Sonne. Männer mit nackten Oberkörpern wälzten sich während des Tanzes im Sand vor uns, sangen und schwangen gleichzeitig ihren Kriegsstab. Wir alle schwitzten. Zum krönenden Abschluss wurden wir mit einer warmen Mahlzeit verwöhnt und erhielten drei Hähne als Geschenk.
Dieses Schulhaus konnten wir dank der Spende einer Investor-Firma unserer Region realisieren, welche namentlich nicht erwähnt werden möchte. Wir danken von ganzem Herzen für diese Grosszügigkeit! Da sich der Ort aufgrund der vielen Kinder grössere Schulräume als unser Standardmass wünschte, steuerte die Diözese einen Beitrag hinzu. Das Gebäude besteht aus zwei Schulräumen. Eine stabile Eisentüre zu jedem Klassenzimmer sorgt für Schutz vor zerstörenden Termiten. Alle Bewohner sind überglücklich, dass wir ihnen geholfen haben.